Das Impostor-Syndrom – Bin ich gut genug?
Stephanie Sedlmayer-Weßling, Diplom-Psychologin und Studienberaterin
Wie Selbstzweifel Mädchen in der Schule bremsen - und was wir dagegen tun können
Kennen Sie das Gefühl, dass Ihre Tochter zwar gute Noten erzielt, aber sofort denkt, das sei nur Glück? Dass sie sich nicht im Unterricht meldet, obwohl sie die Antwort weiß, weil sie denkt: „Das ist bestimmt falsch“? Oder dass sie auf Instagram andere Mädchen sieht und sich sofort minderwertig fühlt?
Dann gehört sie zu den vielen Mädchen, die trotz ihrer Fähigkeiten von Selbstzweifeln geplagt werden. Was hier wirkt, ist das sogenannte Impostor-Syndrom, das oft schon in der Schulzeit beginnt. Es macht aus erfolgreichen, ehrgeizigen Mädchen unsichere junge Frauen, die trotz guter Leistungen das Gefühl haben, Hochstaplerinnen zu sein und nichts zu können. Sie leben in ständiger Angst, „entlarvt“ zu werden. Viele Mädchen geben in der Studienberatung an, sich trotz guter Leistungen innerlich als „nicht gut genug“ zu empfinden.
Die Abwärtsspirale der Selbstzweifel beginnt oft mit dem Übertritt
Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule stellt für viele Kinder einen Wendepunkt dar. Die leistungsorientierte Lernumgebung, körperliche Veränderungen, die Identitätssuche in der Pubertät, die Bedeutung von Gruppenzugehörigkeit und der Einfluss von Social Media führen bei etwa 50 % der Mädchen zu Selbstzweifeln. Wenn das eigene (geringe) Selbstbild und die Wahrnehmung der Fähigkeiten anderer im Missverhältnis stehen und keine positiven Bewältigungsstrategien zur Verfügung stehen, sinkt das Selbstvertrauen.
Eltern beobachten häufig, dass Mädchen, die früher mutig und selbstbewusst waren, mit der Pubertät in Unsicherheit versinken. Die Freude an Wettbewerb und Leistung weicht der Angst vor Kritik und dem Wunsch, Fehler zu vermeiden. Die Freude am Erfolg geht verloren.
Leistungserwartungen in der Familie
Zusätzlich beeinflussen häufig leistungsorientierte Einstellungen in der Familie das Selbstbild der Mädchen. Fleißige Eltern, leistungsstarke Geschwister und die Erwartungen der Großeltern setzen Mädchen unter Druck. Leistung ist grundsätzlich eine positive Eigenschaft, doch oft fehlt die Reflexion und Anpassung an die individuellen Bedürfnisse des Mädchens. Mädchen benötigen viel Gesprächsbereitschaft und Unterstützung, um zu verstehen, dass Fehler zum Lernprozess gehören, und um zu lernen, wie sie damit umgehen können.
Kommunikation in der Schule als Kampfarena
“Na, wieder mal die Note verkackt, Du Looser.”, “Depri, was guckst Du so?” In vielen Schulen gehört derbe Kommunikation zum Alltag. Stark, schön, reich sticht Diversität und Regenbogen. Oft wird Schwäche zeigen oder Fehler machen öffentlich bloßgestellt, was das Impostor-Syndrom weiter verstärken kann. Eine negative Feedback-Kultur hat einen erheblichen Einfluss auf das Selbstwertgefühl junger Menschen, insbesondere bei Mädchen mit hohen Erwartungen an sich selbst. Sie sind ständig zwischen Anpassung und Perfektionismus hin- und hergerissen.
Overthinking statt Handeln
Anstatt sich Rat zu holen und gemeinsam neue Wege zu finden, ziehen sich viele Mädchen in Grübeleien zurück. Sie schweigen, wenn sie sprechen sollten, und verbergen ihre wahren Gefühle. Sie neigen dazu, alles allein zu machen und sich selbst zu verurteilen, was ihre Unsicherheit weiter verstärkt. Beobachtungen zeigen, dass sich Mädchen in dieser Phase häufiger selbst infrage stellen als Jungen, und dass die Angst vor öffentlicher Kritik ein großer Hemmfaktor ist, wenn es um die aktive Beteiligung im Unterricht geht.
Wie Väter und weibliche Vorbilder helfen können
Wie stabil ein Mädchen durch diese Phase kommt, hängt auch davon ab, wie sehr es sich zu Hause emotional unterstützt fühlt. Die Bindungsforschung zeigt allgemein, dass Väter, die ihre Töchter nicht nur versorgen, sondern auch emotional präsent sind und im Dialog bleiben, deren Selbstvertrauen stärken (Schmid & Petermann). Ebenso wichtig sind weibliche Vorbilder, die authentisch über ihre eigenen Zweifel sprechen und gleichzeitig Stärke und Leistungsbereitschaft zeigen.
Tipps für Mädchen und Eltern: Wie man das Impostor-Syndrom überwinden kann
- Erkenne deine Stärken
Mache eine Liste deiner Stärken und Kompetenzen und führe ein Erfolgstagebuch (Leonhart/Stockrahm). Das bewusste Wahrnehmen eigener Fähigkeiten und erfolge steigert die realistische Selbstwahrnehmung und das Selbstvertrauen. - Sprich, auch wenn du zitterst
Mutig zu sein bedeutet, trotzdem zu handeln. Jede noch so kleine Sprechsituation ist ein Erfolg. Solche Erfahrungen helfen, die Sprechangst in der Schule abzubauen. - Stelle dir vor, dass es klappt und was, wenn nicht
Nutze positive Visualisierung: „Was, wenn es gelingt?“ Positive Vorstellung steigert Motivation und hilft, Blackouts bei Präsentationen zu vermeiden. Bereite Dich auch auf kritische Fragen und Pannen vor, damit Du besser vorbereitet bist und cooler reagieren kannst, wenn etwas schief geht. (Oettingen) - Suche Unterstützung
Du musst nicht alles alleine schaffen. Coaching, Mentoring oder Gespräche mit Vertrauenspersonen helfen dabei, das Selbstbild zu verändern und Selbstzweifel zu überwinden. Spitzensportler holen sich Coaching – Du kannst das auch!
Mädchen sind die Zukunft des Arbeitsmarktes
Mädchen, die an sich glauben, wachsen zu resilienten und leistungsbereiten Frauen heran. Selbstzweifel gehören zum Wachstumsprozess – besonders bei Mädchen. Sie sind ein Signal, dass Fehler als Chancen zur Weiterentwicklung gesehen werden können. Junge Frauen haben heute besonders gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, und sie werden auf Karriereevents bevorzugt. Daher sollte das Motto für jedes Mädchen lauten: „Zeig dich – mit all deinen Fähigkeiten und allem, was dich ausmacht.“
P.S. an alle Eltern: Töchter brauchen keine Perfektion. Sie brauchen Vertrauen und Unterstützung, um das Impostor-Syndrom zu verringern und ihre Selbstwahrnehmung zu stärken. Coaching und Mentoring helfen dabei, das innere Bild zu verändern. Im GOOD PLAN STUDIO stehe ich gerne für Studien- und Berufsberatung sowie Coachinggespräche zur Verfügung. Kontaktieren Sie mich per E-Mail: post@goodplanstudio.de
Informationsquellen:
Exner Bianca (2017): Das Impostor Phänomen und seine Rolle als Lernbarriere im Schulkontext. Universität Wien
Schmid, M., & Petermann, F. (2018). Väter und Töchter: Einfluss väterlicher Bindung auf das Selbstwertgefühl weiblicher Jugendlicher. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 50(4), 178–186
Leonhart Mona, Stockrahm Sven (22.8.2023): Das Phänomen Impostor Syndrom. Live-Webinar. Die Zeit 22.08.2023
Schnetzer. S., Hampel. K., Hurrelmann K. (2024): Jugend in Deutschland. Studie. Auswertung Stichprobe Junge Frauen.
Oettingen Gabriele (2025) https://woopmylife.org/
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